Zusammenfassung
Die Premiere der Kulturproduktion „So glücklich, dass du Angst bekommst“ des Chemnitzer Figurentheaters in Kooperation mit neue unentd_ckte narrative berauscht uns noch immer. Am 06.11.2021 verspürte das gesamte mitwirkende Team Euphorie, Erleichterung und überwältigende Resonanz der Zuschauer*innen, der Familie und Freunde im Publikum. Folgender Text soll die Produktionsprozesse noch einmal Revue passieren lassen, anfängliche Ideen, Entwicklungen und erinnerungswürdige Momente der Kulturproduktion festhalten und teilen, was wir im Prozess von- und miteinander gelernt haben.
Wie fing alles an?
Die Premiere der Kulturproduktion „So glücklich, dass du Angst bekommst“ des Chemnitzer Figurentheaters in Kooperation mit neue unentd_ckte narrative berauscht uns noch immer. Am 06.11.2021 verspürte das gesamte mitwirkende Team Euphorie, Erleichterung und überwältigende Resonanz der Zuschauer*innen, der Familie und Freunde im Publikum. Folgender Text soll die Produktionsprozesse noch einmal Revue passieren lassen, anfängliche Ideen, Entwicklungen und erinnerungswürdige Momente der Kulturproduktion festhalten und teilen, was wir im Prozess von- und miteinander gelernt haben.
Schon bevor konkrete inhaltliche Ideen festgelegt wurden, war dem Figurentheater klar, dass eine Zusammenarbeit mit Miriam Tscholl stattfinden soll. Bei einem Workshop, organisiert von nun, entstand diese Idee der Zusammenarbeit. Die Regisseurin gründete und leitete viele Jahre die Bürgerbühne Dresden, bei der partizipatives Theater gelebt und Laiendarsteller*innen auf die Bühne finden. Aus dieser Erfahrung heraus sollte also auch „So glücklich, dass du Angst bekommst“ entstehen. Das alles sollte kultursensibel geschehen, uns gewissen Dinge über Vietnames*innen in Ostdeutschland aufzeigen, aber gleichzeitig die Integrität der vietnamesischen Community in Chemnitz wahren. Es soll den Blick des Publikums schärfen, ohne zu verlangen, die Community durchblicken zu können. Die Geschichten, die erzählt werden, sind sicherlich stellvertretend für Teile der Gruppe, aber dennoch individuell erlebt. Begleitend dazu sollte es drei Puppen geben, die ein jüngeres Ich der Hauptdarstellerinnen verkörpern sollten. Die Puppen wurden von Atif Hussein nach dem Abbild der drei Frauen gestaltet und von drei Puppenspielerinnen des Chemnitzer Ensembles gespielt.
Das Eingrenzen von Themen – Realitätsabgleich
Zunächst stand es für uns offen, auch junge Auszubildende in Pflegeberufen einzubeziehen, die zwar auch aus der Sicht von arbeitenden Frauen erzählen, jedoch die Unterschiede innerhalb der Generationen und der Migrationsumstände gänzlich anders wären als zu ehemaligen Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam. Trotzdem sind intergenerationale Themen alltäglich und unumgänglich, wenn man vietnamesische bzw. viet-deutsche Communities in Ostdeutschland betrachtet. So fanden auch Stimmen der zweiten Generation von Töchtern ehemaliger Vertragsarbeiterinnen in das Stück und spiegelten uns und später dem Publikum die Sicht auf die Elterngeneration und auf sich selbst wider. Wir fokussierten uns auf die Sicht der Frauen, da diese in unserer Gesellschaft und vor allem in der vietnamesischen Kultur und dessen stark patriarchalischen Bildern und Anforderungen an Frauen, zu wenig beleuchtet ist. Besonders die Verknüpfung von Migration, d.h. unter widrigen Umständen die Heimat verlassen und die unermüdliche, teils unsichtbare Arbeit der Frauen, wollten wir aufzeigen und wertschätzen.
Der Prozess
Nachdem wir uns auf Zielgruppen geeinigt hatten, war es nun an der Zeit die Hauptdarstellerinnen des Stücks zu finden. Die erste große Hürde war jedoch, erst einmal Frauen zu kontaktieren und sie gezielt zu unserer Informationsveranstaltung einzuladen und ihnen gleichzeitig die Angst vor Verbindlichkeit zu nehmen. Das musste zum einen auf Vietnamesisch, zum anderen auf persönlichen Wegen geschehen. Einer der Schlüssel war hier das Vertrauensverhältnis und die Direktansprache durch Vũ Vân Phạm. Für viele war dies der erste Berührungspunkt mit deutschsprachigen kulturellen Vorhaben und vor allem, ein Vorhaben, bei dem sie Protagonistinnen sein sollten. Viele Frauen waren überrascht, fast verständnislos: Warum will man ausgerechnet ihre Lebensgeschichten hören? Wo haben ihre Geschichten Platz in dieser Gesellschaft? Erschwerend kam die Corona-Pandemie hinzu. Wir teilten im März 2021 unseren Aufruf zu einer digitalen Informationsveranstaltung, in der wir zunächst von unserem Vorhaben erzählten und erklärten, dass wir gezielt Frauen suchen, die ihre Geschichte auf der Bühne erzählen. Sie boten ihre Hilfe anderweitig an, z.B. indem sie beim Nähen von Kleidern und Kostüme unterstützen, viele konnten sich aber nicht vorstellen selbst zu schauspielern. Dennoch luden wir die Frauen im April 2021 dazu ein, ihre Geschichte in einem privaten Interview mit Miriam Tscholl, Dagrun Hintze und Vũ Vân Phạm, als Dolmetscherin und Vermittlerin, zu erzählen. Dem Aufruf folgten 20 Frauen. Schlussendlich sammelten wir viele individuelle Geschichte der Frauen. Sie erzählten von ihrer Kindheit, von Hunger und Krieg, von ihrer Familie in Vietnam, von der Zeit in der DDR und ihrem heutigen Leben und sprachen von Momenten, in denen sie sich mit ihren Problemen und Sorgen allein fühlten und von Momenten, in denen sie die Kraft gefunden hatten, um nach vorn zu schauen. Diese Geschichten bildeten einen roten Faden für unsere Produktion, aber am wichtigsten und ausschlaggebendsten waren schlussendlich die Lebensgeschichten von Thúy Nga Ðinh, Thị Như Lâm Nguyễn und Ngọc Bích Pfaff, unseren Hauptdarstellerinnen. Die auch innerhalb ihrer Konstellation verschiedene Altersgenerationen darstellten und trotz dem, dass sie alle Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam waren, gänzlich individuelle Erfahrungen prägten.
Zuhören – Änderungen der Thematik akzeptieren
Zeit geben und nehmen und Zuhören, Änderungen zulassen. Das waren die wichtigsten Voraussetzungen, um den drei Frauen wirklich das Wort zu geben und sie bestimmen zu lassen, welche Themen ihnen wichtig waren. Diese Rahmenbedingungen waren gegeben, weil wir mit sensiblen Partnern zusammenarbeiteten, die Raum gaben und Änderungen zuließen. Dies ist unter Produktionszwängen und Ankündigungsdruck durch Öffentlichkeitsarbeit an Theatern schwer umzusetzen. Der Raum war hier gegeben. Wir bedanken uns ausdrücklich dafür! Es hat sich gelohnt!
Dagrun Hintze schrieb während des Sommers das Skript, auf das wir alle natürlich sehr gespannt waren. Das Stück wurde auf Deutsch verfasst und mit vietnamesischsprachigen Stellen, zum Teil Zitate aus den Interviews ergänzt. Beim Sommerfest des Chemnitzer Theaters am 09. Juli 2021 trafen wir uns zum ersten gemeinsamen Lesen des Textes, zum Beisammensein und Essen. Wir überlegten auch, wie unsere Probenprozesse aussehen könnten. Wie und wann unsere Hauptdarstellerinnen neben ihrer Selbstständigkeit oder ihren Verpflichtungen als Vollzeitoma Texte lernen, proben, Kostüme nähen und in die Rolle von Theaterdarstellerinnen schlüpfen konnten. Diese Zeit war für die drei Frauen am intensivsten, für die Mehrheit des Produktionsteams war es nun an der Zeit zu warten und vorfreudig auf Probenbesuche zu sein. Parallel arbeitete das nun-Team an der Archivrecherche und Entwicklung von Diskursformaten. Auch eine Fokusgruppe wurde geplant und kurz vor der Premiere umgesetzt. Aus dieser lernten wir multiperspektivische Blicke auf das Thema kennen und konnten daraus gezielt, Rahmenprogramme entwickeln.
Im August bis Ende Oktober probten die Hauptdarstellerinnen in enger und vertrauter Zusammenarbeit mit den Puppenspielerinnen unter der Leitung von Miriam Tscholl nun das Stück ein. Die Erarbeitung eines Bürgerinnenbühnenformats mit Puppen erwies sich als Glücksgriff! Die Ebene der Erinnerung konnte so gut gelöst werden. Die Frauen wurden von den Puppen korrigiert, wenn sie sich vermeintlich falsch erinnerten. Dadurch wurde der Abstand zu den Geschehnissen und die Ebene des Gedächtnisses aus der Gegenwart sichtbar.
Beim Probenprozess durfte das Produktionsteam reinschauen und endlich sehen, was das monatelange Köpfe zusammenstecken gebracht hat und endlich die Umsetzungen durch die Frauen auf der Bühne sehen. Ngọc Anh Phan stieß dazu, um als weitere Tochter der 2. Generation einen Blick auf den Probenprozess zu werfen und das Rahmenprogramm mitzugestalten. Es war uns wichtig, die Produktionsbegleitung und die Entscheidung über kultursensible Prozesse nicht allein bei einer Person zu belassen, um auch Vũ Vân Phạm und Ngọc Anh Phan den innergenerationalen Austausch zu ermöglichen. Den inner- bzw. intergenerationalen Blick der Töchter, ist auch fester Bestandteil des Stücks geworden.
Bei „So glücklich, dass du Angst bekommst“ wird eine Übertitelung auf Vietnamesisch angeboten, um den Theaterbesuch so barrierearm wie möglich für die vietnamesische Community zu gestalten. Eine Zielgruppe, die aufgrund von Sprachbarrieren oftmals nicht kulturelle Angebote der Region nutzen kann, aber bei dieser Produktion gezielt angesprochen wird. Damit wollen wir zeigen, dass die Geschichte von ehemaligen Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam und die Geschichte ihrer nachfolgenden Generationen nicht nur alltägliche Schicksale sind, sondern auch erzählens- und diskutierenswert für die Mehrheitsgesellschaft ist.
Über nun konnte das Erstellen einer Situationsanalyse finanziert und koordiniert werden. Diese behandelte Grundlegendes, was nicht nur für die Theaterproduktion wichtig war. Themen sind: anti-asiatischen Rassismus, der Situation, den Orten der viet-deutschen Community in Chemnitz, dem Verhältnis zwischen der ersten und der zweiten Generation. Daraus entstand eine Seite mit Hintergrundlinks, die uns im Produktions- und Rechercheprozess inspiriert hatten. Diese Seite ist nachwievor gut frequentiert und dient Menschen, Besuchenden, Lehrkräften, zur weiteren Recherche.
Zum Diskursprogramm gehörten auch ein Labor, das gemeinsam mit dem Zeitgeschichtlichen Forum aus Leipzig entwickelt und umgesetzt wurde. Desweiteren ein Nachgespräch mit Dokumenten aus dem Stasi-Unterlagenarchiv und Gegenstände aus dem Stück.
Die ungehörten Stimmen der vietnamesichen Frauen aus Chemnitz wurden außerdem in einer Comic-App festgehalten. Junge Menschen sind hier besonders addresiert.
Was haben wir gelernt
Wichtig war es, den Prozess nicht mit fertigen Geschichten zu beginnen, sondern zuerst zuzuhören, die Frauen definieren zu lassen, was ihnen wichtig war zu erzählen.
Wichtig war es, dass Vertreter*innen aus der Community der ersten und der zweiten Generation von Beginn an im Team waren. Wir haben gelernt, dass viele Menschen Neues über ihre Nachbar*innen, Mitbewohner*innen gelernt haben. Die Geschichte der Chemnitzerinnen aus Vietnam ist nachwievor ungehört und kaum sichtbar. Schön ist der in Gang gesetzte Dialog und Gesprächseinstieg zwischen den Generationen aus der viet-deutschen Community. Sie nutzen die App und das Theaterstück, um einander über ihre Geschichte zu erzählen.
Es bleiben strukturelle Fragen, wie die nach der Zusammenarbeit mit einem externen Team und einem festen Haus wie dem Theater. Wer aus dem Team hat sich für die Partnerschaft mit nun entschieden, wer wollte die „Einmischung“ von nun in Form von Workshops, Recherchen, Fragen?
Was wir nicht geschafft haben
Eine schöne Frage an sich selbst, stellten die Theatermitarbeitenden sich in Bezug auf die Puppen und deren Gestaltung: wie kann die Puppengestaltung klicheefrei verlaufen, wie deren
Die Recherche ergab, dass diese Fragestellung sehr neu war und aus der Rassismuskritik keine Referent*innen mit Figurentheatererfahrungen gefunden werden konnten. Wir freuen uns, wie die Entscheidung, die Puppen an den spielenden Frauen in ihrer Jugend zu orientieren, also zu einem Zeitpunkt, als sie in die DDR kamen.
Text: Dr. Frauke Wetzel
Beitragsbild: Dieter Wunschanski