Mit dem Caravan der Sehnsucht bot die Frl. Wunder AG für das Chemnitzer Festival DER RAHMEN IST PROGRAMM einen Ort, an dem Chemnitzer*innen über ihre stärksten oder heimlichsten Wünsche und Sehnsüchte für sich und die Stadt Chemnitz nachsinnen konnten. In den ersten Tagen kamen wir mit den Bürger*innen an unserem Standort am Stadthallenpark ins Gespräch. Wir sprachen über die persönlichen Wünsche, ihre eigenen Fähigkeiten, Sehnsüchte anderer zu erfüllen, wir formulierten und veröffentlichten Gesuche und Gebote um sie in die Stadt zu entlassen und eventuell zu einer Wunscherfüllung beizutragen.
Nachdem wir in die Sehnsüchte eingesammelt hatten, wurden sie mit unserer Ankunft auf der Wiese des Festivalzentrums ab Beginn des Festivals ausgestellt, erweitert, diskutiert und in Teilen in Realität umgesetzt.

Am Caravan der Sehnsucht trafen Chemnitzer*innen, die schon lange in der Stadt leben und sie entsprechend gut kennen, solche, die noch nicht lange dort zu Hause sind und Festivalbesucher*innen, die die Stadt mitunter zum ersten Mal erlebten. Ihre Beobachtungen und Wünsche lassen sich in unterschiedliche Themenbereiche einteilen:

Immer wieder fiel der Wunsch nach konkreten Einrichtungen, die in Chemnitz zu fehlen scheinen: Neben der urigen verrauchten Eckkneipe war es vor allem der Späti („ein richtiger, der bis Mitternacht oder zumindest bis 22 Uhr offen ist“), der vielfach und vor allem von Seiten jüngerer Chemnitzer*innen genannt wurde. Was darin bereits mitschwingt, ist die – in unterschiedlichen Formen- am häufigsten beschriebene Sehnsucht nach Räumen und Möglichkeiten, die Zusammenkunft und Miteinander im öffentlichen Raum ermöglichen. Es ging wiederholt um zweckbefreite Sehnsüchte nach mehr Musik, Pausen-Inseln und offenen Türen in der Stadt oder zweckdienliche Sehnsüchte nach Räumen oder Menschen, die die Entfaltung von persönlichen Passionen unterstützen würden. Auch konkrete menschliche Gesellschaft wie die nach einer* Schaukel-Partner*in, nach Gesellschaft fürs Klettern auf städtischen Brachen, fürs Eröffnen einer gemeinsamen Galerie als geschützter Raum, oder die Sehnsucht nach Personen, die ein angefangenes Fotokunstprojekt (Das “Hundertster Schritt Projekt”) weiterführen tauchte auf.

Neben Vernetzung innerhalb der Stadt war auch die überregionale Vernetzung häufig Thema am Caravan: Die “Versöhnung zwischen Chemnitz und den umliegenden Gemeinden” war eine Sehnsucht, an die sich ein lebhaftes Gespräch anschloss, welches u.a. mit der ebenfalls mehrfach formulierten Sehnsucht endete, bessere ÖPNV-Anbindungen für und in das Chemnitzer Umland zu bekommen. Diese Sehnsuchtskategorie kulminierte im durchaus polarisierenden Wunsch nach “Mitstreiter*innen für den Aufstand um ein alljährliches 9€ – Ticket”.

Die etwas geringer, dennoch regelmäßig formulierten Angebote zur Erfüllung von Sehnsüchten bewegten sich zwischen verschiedenen Geboten geteilter Zeit (Eis essen, Ausflüge) und besonderer Gaben (selbstgedruckte Collagen, Projektleitungsfähigkeiten, “Chemnitzer Kontraste aufzeigen”). Realisiert haben wir schließlich das Angebot, das die mit Abstand größte Resonanz unserer Besucher*innen auslöste: Das Angebot eines mehrstündigen betreuten Wutausbruchs, das wir in Absprache mit der Angebots-Geberin übersetzten in eine partizipative Polterabend-Aktion zum Wutrauslassen, die auf breite Zustimmung bei den begeistert werfenden Gästen im Festivalzentrum stieß.

Grundsätzlich lässt sich festhalten: Die Besucher*innen, denen wir am Caravan der Sehnsucht begegnet sind, waren häufig kritikfreudig und äußerten gern, was ihnen fehlt an ihrer Stadt Chemnitz oder an ihren Mitbürger*innen. Oftmals bewiesen sie im selben Gespräch aber auch, dass es die Dinge, die andere Chemnitzer*innen zu vermissen angaben, durchaus in der Stadt gibt. Chemnitz, so könnte mensch schließen, kann daher eine neue Erzählung von sich gebrauchen – denn viele Wünsche erfüllt die Stadt bereits, wenn man nur weiß, wo (so wurde auch die Sehnsucht nach besserem Informationsfluss über die Veranstaltungsvielfalt in Chemnitz am Caravan genannt!) oder mit welchem Blick es zu schauen gilt: So hatte z.B. ein kleiner Junge, der zum ersten Mal in Chemnitz war, auf die gemeldete Sehnsucht nach einer Badestelle in der Innenstadt auf unserer Wand prompt eine Antwort parat: Er hatte beobachtet, dass Menschen in einem Brunnen auf einem großen Platz baden und freute sich schon, später selbst hineinzuspringen.

Das neue Narrativ von Chemnitz könnte also etwas beinhalten wie: vieles ist schon da oder in den Startlöchern und was noch fehlt, ist möglicherweise zum Greifen nah.

 

Beitragsbild: Frl. Wunder AG