Kunstproduktion im Spannungsfeld einer sich verändernden Stadtgesellschaft mit vielen unentdeckten Narrativen können durch Kultur andere Geschichten erzählen.

Gemeinsam mit den hiesigen Künstler*innen der professionellen Freien Darstellenden Szene aus Chemnitz haben wir das Thema entwickelt und uns mit verschiedenen Workshops seit Juni 2021 auf den Weg gemacht. Warum eine Kulturproduktion und Festival mit diesem Ziel:

In dieser Kulturproduktion unterstützen wir die Künstler*innen dabei, Haltung zu zeigen in den Künsten und durch sie. Kulturelle und künstlerische Produktionen sind per se politisch. Sie können nicht nicht-politisch sein. Der Verein und seine Projekte (seien es Ausstellungen, Theaterstücke, Filme, Spiele, Bücher, Workshops, Bildungsreisen) haben immer zum Ziel, diese Perspektive inhaltlich zu bearbeiten und ein Bewusstsein für die politische Ebene innerhalb kultureller Produktionen, Formate und Werke mitzudenken.

 

Wie gingen wir hierbei vor:

Zu den vorbereitenden Workshops gehörten: Die so genannte Augenhöhe und hierarchiefreies Arbeiten (Initiative Solidarität am Theater); The Power of Theatre (Archa Theatre Prague) über den Umgang mit Geschichten der Expert*innen des Alltags sowie ein Digitalvortrag und Workshop der Frl. Wunder AG zum recherchebasierten Arbeiten.

Wir sagen nicht, es gibt ein Theaterfestival und dazu ein Rahmenprogramm. Ohne werten zu wollen, stehen die Formate nebeneinander. Denn nur weil Theater für mich der Lebensmittelpunkt ist, muss es noch lange nicht deiner sein. Hier machten wir unsere Setzung deutlich: das Publikum, vor allem Theater-Ferne und ihre Zugänglichkeit sollten im Mittelpunkt stehen. Alle beteiligten Formate sollten unter dem Motto stehen: mit Menschen sprechen, über die wir normalerweise sprechen. Wir verständigten uns auf die Ziele: die Chemnitzer Szene stärken, zeigen und vernetzen und gute Gastgebende für auswärtige Gäste in Chemnitz sein. Unser Ziel war es außerdem, ein Festival mit politischem Anspruch zu gestalten, das alle Menschen erreichen kann und ein inklusives Angebot zu gestalten.

Inhaltlich gestaltete sich das Programm wie folgt: Zwei verschiedene Clubtouren mit Chemnitzer Kurz-Stücken. Es ging dabei um den eigenen Körper, vergangene Poesie, dem Leben mit Suizid, das Clubleben, schreiende, protestierende Omas oder die zwischenmenschliche Begegnung. Außerdem vier Langstücke aus Chemnitz mit z.T. internationalen Spielenden zur DDR, zu Macht, zu dem Leben in Deutschland, zu Müttern und Töchtern. Außerdem zwei Gastspiele aus anderen FESTIVALFRIENDS-Partnerregionen. Wir setzten Sprech-, Bewegungs-, Schatten-, Figuren- und Tanztheaterstücke um. Vor dem Festival arbeitete die Frl. Wunder AG mit dem Chemnitzer Publikum in mehreren Aktionen im Stadtraum. Der Bericht der Frl. Wunder AG kann hier nachgelesen werden.  Im Nachgang zum Festival luden wir den Philosophen und Politikwissenschaftler Uwe Hirschfeld zu einem Workshop ein, der sich mit dem Miteinander Sprechen und den Grenzen dessen auseinandersetzte.

Insgesamt wurden bei Der Rahmen ist Programm 49 Künstler*innen eingebunden, 30 Laien/Expert*innen des Alltags, es fanden 24 Veranstaltungen in neun Clubs und Off-Theatern statt, zu denen 1200 Besucher*innen kamen.

Für nun war es neu, mit der Freien Szene zu arbeiten, also keinem festen Haus, keinen Hierarchien und damit verbunden auch weniger finanzielle Sicherheiten und Zeitkapazitäten. Ein fluider Partner mit anderen Bedürfnissen als die festen Institutionen, mit denen neue_unentd_ckte_narrative bis 2020 überwiegend kooperierte.

In der kuratorischen Arbeitszeit bemerkte das Leitungsteam, dass es bundesweit an Stücken fehlte, die sich mit Wendeerfahrungen aus der Sicht von Menschen aus den alten Bundesländern beschäftigte. Wir fragten die FESTIVALFRIENDS Kolleg*innen nach Gastspielen, nach solchen Blicken von Menschen, die häufig übereinander sprechen, aber immer noch zu selten miteinander – das Festivalthema. Nachwievor haben nur ein Viertel der Westdeutschen Ostdeutschland besucht, wozu noch nicht zählt, dass sie miteinander gesprochen, etwas übereinander erfahren haben. Auch der Besuch einer wissenschaftlichen Tagung zum Erbe 89 in Freiburg zeigte dem Kurationsteam, dass es die Kunst braucht, um manche Themen anzusprechen, voranzubringen. Selbst die wissenschaftliche Betrachtung hinkt hinterher. Umso erfreulicher, dass es Projekte wie Erbe 89 gibt, die unter anderem populärwissenschaftliche Betrachtungsweisen in Musik, Literatur, Film aufgreifen. Wo bleiben die darstellenden Künste? Mit mehreren künstlerischen Impulsen und einem politischen Impuls setzten wir den Teilnehmenden der Werkstatt Ost-Ost-West ein breites Spektrum an Sichtweisen zur Positionierung als West- und Ostdeutsche. In der anschließenden Diskussionsrunde moderierte Dr. Anna Lux, Mitarbeiterin von Erbe 89. Die Werkstatt sollte zum weiteren Arbeiten zum Themenkomplex und zur Vernetzung zwischen ost- und westdeutschen Künstler*innen führen. Dieser Workshop schloss inhaltlich und zeitlich an das Gastspiel, „Wie macht man gute Kunst für Ostdeutsche?“ an.

Wir versuchten so viele Barrieren wie möglich abzubauen, um allen Menschen den Zugang zu unserem Festival zu gewährleisten. Dazu zählten die konsequente Umsetzung der Einfachen Sprache in allen Veröffentlichungen und Einführungen in Leichter Sprache. Bei Letzterem merkten wir, dass dieses Angebot noch kaum von Theatern oder der Freien Szene eingesetzt wird. Wir erhielten viele Nachfragen durch Kulturkolleg*innen, die sich für dieses Angebot interessierten. Hier machten wir den Fehler, das Angebot als solches anzukündigen. Menschen mit Lernschwierigkeiten wollen aber nicht als solche angesprochen, deklariert werden. Das nächste Mal wollen wir das Angebot gezielt an Gruppen weitergeben, ohne dass es als „einfach oder inklusiv“ betitelt wird. Dazu gibt es bereits gute Gespräche mit Multiplikator*innen von Alphabetisierungskursen, Obdachlosenhilfe und andere Sozialarbeiter*innen.

Der Einsatz der Deutschen Gebärdensprache (DGS) wurde bei vielen Angeboten umgesetzt: So setzten wir bereits auf der Homepage eine Einladung mit einem Video in DGS ein und ließen zwei Langstücke durch Dolmetschende simultan übersetzen. Darüber hinaus wurden auch Diskussionen und Einführungen mit DGS angeboten. Um blinde und sehbehinderten Menschen den Zugang zum Festival zu ermöglichen, setzten wir bei einem Stück eine Live-Audiodeskription ein. Die Rückmeldung durch eine blinde Besucherin bestärkte uns darin, dass es richtig war.

Da wir zwei Clubtouren im Programm hatten, bei denen es galt, zwischen drei und fünf Kilometer zu gehen, boten wir einen Shuttleservice bei einer der Touren an. Hier konnten zwei Rollstuhlfahrende und bis zu fünf eingeschränkt Gehende die Clubtouren besuchen.

Außerdem konnten wir kaum Zweisprachigkeit (Englisch) umsetzen. Der Einsatz der Einfachen Sprache machte den sprachlichen Zugang leichter für Menschen, die nicht deutsche Muttersprachler*innen waren, aber wir konnten personell und finanziell keine Dolmetschung anbieten.

Es mangelte an Zeit für die Zielgruppenansprache. Wenige Menschen, die auf inklusive Angebote angewiesen sind, nutzen diese. Wir entschieden uns, die Verwendung der Einfachen Sprache nicht als solche zu deklarieren. Dies führte zu Verwunderungen aus der Kunst-Szene. Neben der rein organisatorischen Arbeit des Angebots inklusiver Maßnahmen, bedarf es viel personellen Einsatz im Vorfeld, um diese Angebote zielgruppengerecht bekannt zu machen.

Das Clubtour-Format erwies sich als niedrigschwelliges Angebot, das die Hürde, performative Stücke der freien Szene zu politischen Fragestellungen zu besuchen, erheblich senkte. Stücke, die mit Diskursprogramm kombiniert waren, wie die Wismut-Diskussionsrunde nach dem Stück „Rummelplatz“ im Fritz Theater führten zu einem sehr diversen, generationsübergreifenden Publikum. Auch die Öffentlichkeitsarbeit, vor allem das Programmheft in Einfacher Sprache, führte dazu, dass wir mehr Menschen erreichten.

Wir luden Expert*innen des Alltags ein, Stücke zu kommentieren. Die Nachgespräche waren dadurch thematisch stärker. Wir suchten nach Menschen, die den Inhalten der Stücke nahestanden: ein Gewerkschaftsanwalt, ein Historiker, eine Körperarbeitende, eine Kriminalbeamtin, eine Esperantoexpertin, ein Türsteher. Die Auswahl fand in enger Absprache mit den Künstler*innen statt. Die Expert*innen besuchten die Performances, was meist zu einer ersten Begegnung mit der Freien Szene führte. Einladen, aktiv einbeziehen und Wort geben wurden im Format „Unverblümt“ umgesetzt. Die „normale“ Kunstbetrachtung, Rückmeldungen durch Kunstkolleg*innen kamen dadurch zu kurz oder fanden weniger öffentlich statt, was uns aus der Szene wiederum Verwunderung einbrachte.

 

Nachwirkungen/Nachhaltigkeit von DRiP

Beteiligte Chemnitzer Künstler*innen arbeiten weiter an ihren Stücken, es kam zu neuen Allianzen innerhalb der Stadt und zu Anfragen der Zusammenarbeit. Viele der beteiligten Künstler*innen nutzen die neuen Erfahrungen mit dem dokumentarischen Arbeiten und den Interviewtechniken. Wir dürfen gespannt sein, auf weitere ungehörte Stimmen, die von ihnen zu Gehör gebracht werden.

Die Chemnitzer Szene ist in Sachsen weiter in den Mittelpunkt gerückt und der Verband der Freien Darstellenden Künste in Chemnitz e.V. auf die Landkarte der sächsischen und bundesweiten Szene.

Aus der Ost-Ost-West-Werkstatt sind mehrere künstlerische Fragestellungen und sogar Projekte entstanden.

Kulturpartner*innen verweisen auf unser Programmheft oder die Website, um auf die gute Verwendung der Einfachen Sprache hinzuweisen und unsere Website als Vorbild zu nehmen. Youarewarmlyinvited lud uns ein, einen Artikel über das Thema Inklusion in der Freien Szene zu verfassen.